BouBou Keller
Sein Alter merkt und sieht man ihm auf den ersten Blick nicht an – dass er im Rollstuhl sitzt, dagegen schon. BouBou Keller – Mitbegründer der HSP-Selbsthilfegruppe und immer noch aktives Mitglied des heutigen HSP-Schweiz Vereines, blickt mit seinen fast 63 Jahren auf ein bewegtes Leben zurück. Sport war schon immer sein Motor. Still sein Schicksal zu ertragen dagegen - nicht sein Ding.
Kindheitserinnerungen
Im Alter von ca. acht Jahren bemerkte BouBou bereits das erste Mal, dass etwas bei ihm anders war als bei anderen Kindern. «Andere haben durchs shooten O-Beine bekommen und ich hatte X-Beine» sagt er. Abgehalten vom Fussballspielen hat ihn das nicht. Träger des Gendefektes, an welchem auch seine Schwester erkrankt ist, war seine Mutter, welche zeitlebens dachte, sie leide an MS. Probleme durch ein verschobenes Becken traten bei BouBou ebenfalls auf. Eine Diagnose blieb aus, weil man sich damals eben «noch nicht bemüht hat, herauszufinden wieso und warum» sagt er. Mit 13 begann BouBou mit Handball und ersten Therapien. Zu dieser Zeit erhielt er auch Schuherhöhungen, um gerade laufen zu können. Der Beckenschiefstand entwickelte sich zurück.
Zwischen Jugendträumen und Realität
Neue Symptome liessen nicht lange auf sich warten, und so kam er mit 20 Jahren schon ab und zu aus ins Straucheln und wurde das erste Mal bei der IV vorstellig. Als gelernter Maler «musste ich mich auf unebenem Gelände stark konzentrieren nicht umzufallen und auch das Fusslüpfen bereitete mir schon Schwierigkeiten», meint er. Die IV bescheinigte ihm kerngesund zu sein - er solle nur Acht geben nicht mehr als 12 Kilo zu heben. Seinen Beruf hängte BouBou danach erstmal für drei Jahre an den Nagel. «Ich hab nur noch gezockt und in der Badi rumgehangen» sagt er im Rückblick. Das Militär hat er dennoch durchgezogen, mit allem, was dazugehört – schwer schleppen und langen Fussmärschen. «Ich hab brutal gelitten, hab’s aber einfach gemacht.», erinnert er sich heute an diese schwierige Zeit. Sport blieb trotz allem sein Fokus – egal ob als Aktiver oder Trainer der Frauenhandballmannschaft des TV Wohlen. Handball spielte BouBou noch aktiv bis zu seinem 30. Lebensjahr. Er lernte Uschy, seine grosse Liebe, kennen - bis heute seine Matchpartnerin im Leben. Mit 28 Jahren startete er seine Minigolfkarriere, war unter den 20 Spieler besten Spielern der Schweiz und beendete sie 31-jährig wieder. In den Malerberuf kehrte er zurück. Die Fusshebeschwäche und das Stolpern blieben, neu waren die Spasmen, die seinen Arbeitsalltag kompliziert machten.
Wenn Träume platzen
Seine Leidenschaft für Tennis entdeckte er mit 30 und unterrichtete bereits ein Jahr später. Sein neuer Plan: Tennislehrer werden und die Tennisschule zu übernehmen, für welche er arbeitete. Mit 34 Jahren entschied er sich dann endgültig dafür und gab den Malerberuf auf. Um sich fitzuhalten, joggte BouBou und fuhr Rad. Dabei merkte er immer öfter, dass mit seinen Beinen definitiv etwas nicht stimmte. Sein Hausarzt schickte ihn damals nach Baden zu einem Beinspezialisten, der ihn für vier Tage und alle möglichen Untersuchungen ins Kantonsspital Aarau einwies. Im August 1999 stellte man ihm dort die Diagnose «HSP», erst später bestätigte sich dies auch durch einen Gentest. Da war er 39. Sein Leben stand Kopf und er war gezwungen beruflich umzudenken. «Du gehst in eine Ohnmacht. Du weisst nicht mehr, wie deine Zukunft aussieht.», erinnert er sich. Was genau diese Diagnose für ihn bedeuten würde, konnten ihm die Ärzte damals nicht sagen, dass am Ende ziemlich sicher die Paraplegie steht, hielten sie für sehr wahrscheinlich. Mit der Unterstützung der IV konnte BouBou die zweijährige Handelsschule abschliessen und fand danach eine Anstellung in Zürich. Er unterrichtete Schulabgänger ohne Lehrstelle im Malerbetrieb einer Einrichtung und begann nebenbei wieder als Tennislehrer zu arbeiten. Irgendwann waren der lange Arbeitsweg, die immer ausgeprägteren Begleiterscheinungen der HSP, wie Blasendruck und die geplanten Anpassungen seines Arbeitgebers nicht mehr tragbar und er kündigte. «Auch wo ich gewusst hab, dass ich IV werde, hab ich immer gewusst ich will gleichwohl schaffen.», sagt er. Im Frühjahr 2006 gab er seine letzte Tennisstunde als Fussgänger.
Leben passiert, wenn du dich auf den Weg machst
Zufall, Glück oder Schicksal – beim Jugendfest in Wohlen, kam BouBou mit dem Besitzer der Tennishalle Birrhard zum Thema Rollstuhltennis ins Gespräch. Es war Uschy, die ihn überredete das am Samstag, den 23. September 2006 einfach mal auszuprobieren. »Samstagmorgen vorbeigefahren, zugeschaut, selbst in den Rolli gesetzt und da ist die Geschichte schon geschrieben gewesen.», sagt BouBou über den Tag, der ihm wieder Zuversicht gab. Zu Beginn seiner Karriere im Rollstuhltennis war er noch Fussgänger, entschied sich dann allerdings komplett in den Rollstuhl zu wechseln. Im März 2007 fuhr er bereits den ersten Turniersieg ein. Der Wiedereinstieg ins Leben war geschafft und sein Ehrgeiz wieder geweckt. Schnell ging es sportlich voran. Zahlreiche Meistertitel im Einzel und Doppel, Platzierung in der ITF- Weltrangliste – das Ergebnis seines harten Trainings, seiner Willensstärke und einfach seinem Spass am Tennis. Mit 46 Jahren sahen er und Uschy bei «Aeschbacher» Natalie Hans, einen Gast, anhand deren Gangbild er sofort wusste, dass sie dieselbe Erkrankung haben musste wie er. BouBou nahm mit dem Sender Kontakt auf und konnte sich so mit Natalie in Verbindung setzen. Diese kannte bereits einige HSP-Betroffene und so machten sich BouBou und Uschy auf den Weg nach Buochs, um an einem Treffen teilzunehmen. Zusammen mit Natalie gründete er die HSP-Selbsthilfegruppe, die er gemeinsam mit anderen Betroffenen für 12 Jahre leitete.
“Ein Tag ohne Sport ist ein Scheisstag”
Rollstuhltennis betreibt er immer noch aktiv und sein Ziel ist dies auch noch mit 70 zu tun, sowohl aktiv als auch als Trainer. Im Rollstuhltischtennis ist er als Coach sehr engagiert. Biken, Fitnessstudio und Therapien sind seine Garanten, um langfristig fit zu bleiben. Sein jüngster sportlicher Erfolg? Das Meister-Triple im Tennis an den Schweizer Teammeisterschaften! Unterstützung hat er immer erhalten, vor allem natürlich von Uschy, aber auch von seinen Ärzten, der IV und seinen Förderern. Zweifellos hat er mit seinem Schicksal gehadert, es gab Tiefpunkte und Existenzängste. Aber BouBou ist eben vor allem eins – ein Kämpfer und das nicht nur beim Sport! Eine intensive Auseinandersetzung mit sich selbst und mit der Erkrankung HSP, regelmässige Tagesabläufe und vertiefte Kenntnisse über seinen Körper helfen ihm bei seinen täglichen Herausforderungen. An dem Traum seiner Kindheit «Sportlehrer zu werden», konnte ihn die HSP nicht hindern und auch nicht an seinen zahlreichen sportlichen Erfolgen. BouBou Kellers Geschichte macht Mut und zeigt, was trotz HSP möglich ist, wenn man sein Leben selbst in die Hand nimmt.
BOUBOU WAS DENKST DU ÜBER...?
... die Inklusionbemühungen in der Schweiz?
Ich sehe die Inklusion auf einem guten Weg in der Schweiz. Es hat immer auch mit der persönlichen Einstellung zu tun, wie man dazu steht. Kein Verständnis habe ich allerdings dafür, wenn in Neubauten nicht auf die Bedürfnisse von Menschen mit Handicap geachtet wird und sie dadurch ausgeschlossen werden.
... körperliche Betätigung bei Menschen mit HSP?
Fitness ist ganz wichtig, für den Rumpf vor allem. Nicht warten, um mit dem Sport zu beginnen. Auch zu Hause ist das jederzeit möglich. Ich empfehle jedem die normale Physio mit Fitness zu kombinieren. Im besten Fall dreimal die Woche.
... deine Grenzen beim Sport?
Eigentlich gibt es keine. Es gibt Sportarten, mit denen ich nicht viel anfangen kann. Manchmal hindern mich die Spasmen gerade Sport zu machen. Professionell Darts spielen würde mich noch reizen, aber die Voraussetzungen sind aufgrund der festgeschriebenen Höhe der Dartscheibe leider nicht für alle Teilnehmenden gleich.
... empfehlenswerte Sportarten für HSP-Betroffene?
Tennis und Tischtennis natürlich! Grundsätzlich ist aber jeder Sport gut, den man allein bewerkstelligen kann, ohne auf Hilfe angewiesen zu sein.
... Schwierigkeiten im Alltag von HSP-Betroffenen?
Es gibt definitiv zu wenig behindertengerechte Toiletten. Nicht vorhersehbare Blasenschwäche und Spasmen entscheiden, ob es ein guter Tag wird.
... über das Leben?
Was dich nicht umbringt, härtet dich ab!
... über deine persönliche Zukunft?
Bis 70 möchte ich tennisfit sein und wünsche mir, dass meine Frau auch dann noch mit dabei sein kann!
Mehr Informationen über BouBou Keller:
https://issuu.com/spv_nottwil/docs/paracontact_1_21_d/s/11786232
http://www.boubou.biz/llauf1.php
http://www.boubou.biz/presse.php